» Texte / Rot ist die Farbe der Liebe! Wien queer lesen und utopisch denken

Ursula Maria Probst


        Anlässlich des dreijährigen Bestehens von Sodom Vienna (Verein zur Förderung der Bewegungsfreiheit) ist im Oktober 2023 die gleichnamige Publikation in der Edition Atelier erschienen, deren Erscheinen mit artivistisch, politisch engagierten, lustvollen Performances von Mitgliedern wie Denise Palmieri, Denice Bourban, Stefanie Sourial, Larissa Kopp, Peter Kozek, Thomas Hörl und Musik im brut nordwest glamorös gefeiert wurde. Mittels der Publikation gibt es jetzt die Möglichkeit, grandiose Veranstaltungen von Sodom Vienna, wie Menschheitsfrühling im Gemeindebau mit dem Klassenkampfchor vor dem Karl-Marx-Hof, Sodom und Gomorrah Favoriten, Schandwache/Antifaschistische Aktion, Würstelprater, AUF(M)ARSCH & Propaganda & Merchandising, Luxus Spaß und Vergnügen für alle! oder Circus Sodomelli ebenso wie ihre Manifestationen Revue passieren zu lassen. Abbildungen von Bannern wie Heimat ist der Tod, mein Arsch ist offen rot! oder SODOM VIENNA: ANTIFA! GENDERWAHN! PERVERS machen kämpferisch und witzig pointiert Forderungen von Gruppierungen mit Diversitätsanspruch sichtbar. Sodom Vienna steht für transnationale Solidarität, queere Liebe, Luxus für alle und appelliert an eine solidarische Natur.
        Aufmerksamen Stadtbewohner:innen ist die Plakatkampagne gewiss nicht entgangen, die während der Wahlkampfzeit 2019 die Stadt mit roten Plakaten, auf welchen sich Blumen befanden, durchzog. Als Hybrid zwischen Vagina und Anus bildet diese Blume, die auf die rote Nelke als Symbol der proletarischen Solidarität anspielt, das Logo des Kollektivs Sodom Vienna. Es war auch in aufblasbarerer Version im Stadtraum präsent.
        Den Herausgeber:innen Gin Müller (Initiator) und Birgit Peter (Zirkusforscherin) gelingt mit der Verschriftlichung und Verbildlichung der Aktionen, Performances und Events ein großzügiger Überblick, der die Geschichte des Roten Wien mit der Utopie eines queerfeministischen und antirassistischen Wien der Gegenwart vereint. Ausgerufen wird eine sündige Stadt mit einem klaren JA zu Klassenkampf und Genderwahn. Wien wird zur Sodom Queen. Eingefordert wird das längst überfällige Wahlrecht für alle Menschen, die in Wien leben. Erforscht wird die Aufbruchsstimmung der 1920er Jahre und in den Inszenierungen deren buntes Treiben durch Revuen, Paraden, Demonstrationen und Zirkusvorstellungen aufgegriffen. Die Texte geben Einblicke in Wiens queere Geschichte wie Stefanie Sourials performativer Text zur -Psychogenese eines Falles von weiblicher Homosexualität. Im Einleitungstext Rot ist die Farbe der Liebe wird hinterfragt, wie es um die Errungenschaften des Roten Wien 100 Jahre nach 1919 bestellt ist und für welche politische Sichtbarkeiten es zu kämpfen gilt. Als Vorbilder dafür werden die roten Spieler:innen der Arbeiter-Olympiade und Agitprop-Gruppen von damals herangezogen. Als Namensgeberin fungierte die bis dato teuerste Filmproduktion Österreichs Sodom und Gomorrah, die 1922 mit tausenden Statist:innen am Wiener Laaer Berg gedreht wurde. Zu einem Zeitpunkt, als die Welt und die gerade ausgerufenen Republik Österreich von Krisen geschüttelt wurde. Bewusst werden auch hier Parallelen zu heute gezogen.
        Sodom Vienna steht für Humor, für eine erfindungsreiche Sprache und originelle Choreografien, performative Dramaturgien, kunstvolle Kostüme und originelle Settings im Umgang mit komplexen Dringlichkeiten. Dazu gehört ebenso das Bilden von Allianzen wie einer gemeinsam mit Omas gegen Rechts, Afro Rainbow Austria, Queerbase, LGBTIQ Tekosin und anderen im Rahmen der Wienwoche veranstalteten Demonstration am Viktor-Adler-Markt zeigen. Die Erfolgsgeschichte setzt sich mit Stationen und Veranstaltungen wie Kaisermühlen, Belvedere 21, Freudenhaus im Sigmund Freud Museum, der Sodom Vienna Revue und der Volxtoolschule fort. Andreas Brunner lädt zu einer nachlesenswerten – historischen Revue ein und liefert Fakten zu den Glanzzeiten des Roten Wien, dessen Aufbruchstimmung und gesellschaftlichen Revolutionen, aber auch zu dessen Leerstellen und offenen Fragen. Zur Geschichte von Zirkus, Außenseiter:innen, Rebell:innnen, Subversionen, Irritationen, Selbstermächtigungen und Queertopia und Parallelwelten zu normativen Gesellschaftskonstrukten spannt Birgit Peter einen Bogen. Der Zirkus als Mikrokosmos, als Emanzipationsort und Projektionsort kollektiver Fantasien und dessen Potenzial zur Bildung neuer Realitäten lebt auf.


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