Elke Rauth

Elke Rauth ist Obfrau von dérive - Verein für Stadtforschung und Leiterin von urbanize! Int. Festival für urbane Erkundungen.


Grün soll sie sein, die smarte Stadt der Zukunft, ressourcenschonend, CO2-neutral, energieeffizient und nachhaltig. Ein Bollwerk gegen den Klimawandel, eine Innovationsmaschine für die Wirtschaft, ein Hort der Lebensqualität in der »Stadt für alle«. Das Schlaraffenland Smart City zieht als globale Copy-Paste-Stadtvision immer weitere Kreise: In Europa rittern eine kaum mehr zu bestimmende Anzahl an Städten unterschiedlicher Größe um die strategisch platzierten Smart-City-Fördertöpfe der EU, denn diese setzt ihrerseits große Hoffnungen auf die Entwicklung und Implementierung von smarter Informations- und Kommunikations-Technologie (IKT) – sowohl im Kampf um die wirtschaftliche Bedeutung im globalen Wettbewerb, als auch für die Ankurbelung des Wachstums im Euroraum. Unter den europäischen Großstädten belegen Kopenhagen, Amsterdam und Wien die Plätze eins bis drei im Smart-City-Ranking, aufgestellt vom Urban & Climate Strategist Boyd Cohen, einer von vielen im globalen, von Stadt zu Stadt vagabundierenden Beraterzirkus, der auch im Dienst der Stadt Wien steht. Auf den Plätzen jenseits des Siegertreppchens finden sich 2014 Barcelona, Paris, Stockholm, London, Hamburg, Berlin und Helsinki.[1] Wien will zur Smart-City-Vorreiterin aufsteigen und hat dazu im Sommer 2014 eine Smart City Rahmenstrategie (Magistrat der Stadt Wien 2014) beschlossen: Smart oder »G’scheit«, wie es der amtierende Bürgermeister Michael Häupl bezeichnet, ist seither auch die Wasserversorgung Wiens mit der Hochquellwasserleitung aus 1873 und der Wohnbau des Roten Wien aus den 1920er bis 1930er Jahren. Man will in der Smart City für alle nicht nur Innovationsleader bei gleichzeitiger »radikaler« Ressourcenschonung werden, sondern auch eine soziale Vorzeigestadt. In der Smart City Rahmenstrategie klingt das volkstümelnd so: »Mir machen des für alle. Net nur für die Reichen! Auf Smart City machen momentan eh alle Städte. Aber mir passen mehr auf de Leit auf.« (Magistrat der Stadt Wien 2014a)

How smart is smart?

Während dennoch vielfache Zweifel bestehen, inwieweit die enorm technologiegetriebene Vision für unsere Städte tatsächlich den Herausforderungen der Zukunft gerecht wird, kann eines als gesichert gelten: Die Smart City garantiert exorbitante Umsätze für die Unternehmen der Informations- und Kommunikationstechnologie-Branche. Auf 1,56 Billionen (!) US-Dollar schätzt das Consulting-Unternehmen Frost & Sullivan den globalen Smart-City-Markt alleine bis ins Jahr 2020.[2] Keine Überraschung also, dass Großkonzerne wie etwa IBM, Siemens, Cisco, Kapsch, Microsoft und viele mehr gemeinsam mit der Automobilindustrie an vorderster Front um die Smart City Märkte kämpfen. Und nicht nur das: Ola Söderström, Till Paasche und Francisco Klauser illustrieren in ihrer Studie Smart cities as corporate storytelling am Beispiel IBM eindrücklich, wie das Narrativ der Smart City in seiner heutigen Form den strategischen Profitinteressen der globalen IKT-Konzerne entspringt, die seit den 1990er Jahren auf der Suche nach neuen, lukrativen Geschäftsfeldern die Städte ins Visier nehmen. (Söderström et al 2014) So investierte der IT-Konzern IBM – auf Basis von hauseigenen Studien, die Städte als einen gigantischen, nahezu unberührten Technologiemarkt identifizierten – schätzungsweise mehrere hunderte Millionen US-Dollar (Townsend 2013, S. 31) in seine »Smarter Planet«-Kampagne. Ziel war und ist, ein neues »framing« für die Art und Weise, wie über die zukünftige Entwicklung der Städte diskutiert werden soll, zu etablieren und die Positionierung des Konzerns als »obligatory passage point« (OPP), also als ebenso logischen wie notwendigen Geschäftspartner der Städte bei der Implementierung smarter Technologien. Die Geschäftsstrategie des Konzerns läuft dabei in zwei Richtungen: Zum einen wird der Abschluss von umfassenden Verträgen für alle städtischen Infrastrukturbereiche angestrebt. Zum anderen agieren IBM-Experten-Teams unter der Marke Smarter Cities Challenge als »ehrenamtliche« Berater für 100 Städte weltweit und erarbeiten in enger Zusammenarbeit mit den Entscheidungsträgern aus Politik und Verwaltung drei Jahre lang smarte Entwicklungsszenarien für alle Bereiche der städtischen Verwaltung und Planung. Für die Pro-Bono-Beratung können sich Städte weltweit bewerben und werden von IBM ausgewählt. So werden die Städte zu Stipendiatinnen eines global agierenden IKT-Konzerns. Insgesamt haben sich die Strategien bezahlt gemacht: Die Smarter-Cities-Division von IBM generiert rund 25 Prozent der Geschäfte des Konzerns und macht ihn zum führenden Smart City Player in Sachen Verkauf und Strategie. (Söderström et al 2014, S. 311f.) Da zählen Bedenken von DatenschützerInnen und IT-SpezialistInnen nicht viel, die in der Smart City den nächsten Schritt hin zur Totalüberwachung sehen, die hohe Angreifbarkeit zentraler städtischer Infrastrukturen durch digitale Systeme als massives Sicherheitsrisiko einschätzen oder das Einschreiben von Konzerninteressen bis in die tiefste Infrastruktur der Städte als Totalausverkauf an die Kräfte des freien Marktes bezeichnen. Ebenso wie zahlreiche StadtforscherInnen nicht müde werden darauf hinzuweisen, dass die einseitige und nahezu ausschließlich von technologischen Überlegungen geleitete Zukunftsvision in vielen Aspekten an den längst gescheiterten funktionalistischen Städtebau erinnert. Die Vorstellung, dass sich Städte steuern und kontrollieren lassen wie eine große Maschine und sich das »gute Leben für alle« entfalten wird, wenn wir nur ausreichend Daten zur Verfügung haben, scheint extrem naiv – und bildet unter dem Schlagwort »Big Data« dennoch den Kern der Smart City Strategien. (Siehe Greenfield 2013 bzw. Townsend 2013)

Smart Meter – Testfall für die Intelligenz der Städte

Wie stark bei der Transformation der Städte in Smart Cities die Konzerninteressen dominieren und wie wenig es in Wirklichkeit um die propagierten Ziele von Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung, Maßnahmen gegen den Klimawandel oder soziale Inklusion geht, illustriert der erste globale Produkt-Rollout der Smart-City-Industrie in Zusammenarbeit mit den Kommunen: Gemeint ist die derzeit weltweit in Arbeit befindliche Umrüstung der Strom- und Gas-Infrastruktur auf »Smart Metering«. Dabei werden die bisherigen analogen Zähler durch digitale Geräte ersetzt, um – so wird argumentiert – sowohl eine intelligente Steuerung wie auch eine Senkung des Ressourcenverbrauchs zu ermöglichen. Obwohl die von der Industrie behaupteten Vorteile wohl eher im Reich des Marketings zu Hause sind, als dass sie durch unabhängige Studien abgesichert wären, und das Smart Metering eigentlich keines seiner propagierten Ziele einlöst, wird am Rollout unbeirrt festgehalten – trotz heftigem Protest von No-Smart-Meter-Initiativen in zahlreichen Ländern. Auch in Österreich melden etwa die DatenschützerInnen der ARGE Daten, ebenso wie die Arbeiter- und Ärztekammer oder die Mietervereinigung Bedenken gegen die Einführung an. Selbst viele für die Umstellung zuständige Stromnetzbetreiber, wie etwa die Wiener Stadtwerke und ihr Vorstandsdirektor Marc Hall, warnen vor einer überhasteten Einführung und sehen zahlreiche Probleme in den Bereichen Sicherheit, Datenschutz und Konsumentenfreundlichkeit.
Trotz guter Gegenargumente wird die Umrüstung auf die intelligenten Stromzähler in der Alpenrepublik vom zuständigen Wirtschaftsministerium jedoch weiterhin als alternativlos propagiert. Die Kosten für die Einführung werden für Österreich mit 1 bis 1,5 Mrd. Euro beziffert, geschätzte 360 Millionen Euro entfallen auf Wien. Siemens, Kapsch und die Telekom Austria sind nur einige der Unternehmen, die bereits in den Startlöchern scharren. Die Grundlage für die Implementierung in Europa bilden die Energie-Effizienz-Richtlinien der EU, welche die Mitgliedsstaaten zur Einführung intelligenter Messsysteme verpflichten, »durch die die aktive Beteiligung der Verbraucher am Strom- und Erdgasversorgungsmarkt unterstützt wird«. Darin wird die Einführung von intelligenten Stromzählern für private Haushalte mit einer Umstellungsrate von 80 Prozent bis 2020 vorgeschrieben, »falls die Einführung intelligenter Zähler positiv bewertet wird« bzw. »wenn die Einführung intelligenter Zähler als kostenwirksam angesehen wird«.[3]
Die österreichische Regulierungsbehörde E-Control kam 2010 zur notwendigen »positiven Bewertung« mittels der »Studie zur Analyse der Kosten-Nutzen einer österreichweiten Einführung von Smart Metering« von PricewaterhouseCoopers. Die Consultingagentur evaluierte auf rund 90 Seiten vier Szenarien für die Einführung intelligenter Strom- und Gaszähler und gelangte bei allen Einführungsvarianten zu einer positiven Bewertung.[4] Wie die ARGE Daten in einer Stellungnahme an das österreichische Wirtschaftsministerium und die Parlamentsdirektion zum – auf Basis der Studie erstellten – Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz 2010 bemerkt, gehen PricewaterhouseCoopers jedoch »von äußerst fragwürdigen Annahmen aus«, was die Einsparungspotenziale und den wirtschaftlichen Gesamtnutzen betrifft. Die Datenschutzproblematik wird in dem Papier im Auftrag der E-Control nicht einmal ansatzweise behandelt. Die ARGE Daten bezeichnet das ganze Vorhaben daher als »volkswirtschaftlich unsinnig und grundrechtlich äußerst bedenklich«[5]. Damit kommen die Datenschützer zum selben Schluss wie die im Auftrag des deutschen Wirtschaftsministeriums ausgearbeitete und mit fast 250 Seiten weitaus umfassendere »Kosten-Nutzen-Analyse für einen flächendeckenden Einsatz intelligenter Zähler« des Beratungsunternehmens Ernst & Young (2013). Die StudienautorInnen gelangen darin zur Erkenntnis, dass die Einführung der Smart Meter mit einer von der EU vorgeschriebenen Rollout-Quote von 80 Prozent »zu einem gesamtwirtschaftlich negativen Netto-Kapitalwert« führe und zudem »für den Großteil der Kundengruppen wirtschaftlich nicht zumutbar« sei. (Ernst & Young 2013, S. 217) Während man in Österreich nach wie vor damit argumentiert, dass einem aufgrund der EU-Richtlinie die Hände gebunden wären, während gleichzeitig sogar eine Umstellungsquote von 95 Prozent bis 2019 angestrebt wird, stoppte die deutsche Bundesregierung im Oktober 2014 aufgrund der Studie vorerst den Rollout für Privathaushalte. »Der Einbau von Smart Metern lohne sich für Haushalte nicht, denn die teuren Zähler müssten über eine Gebühr von den Haushalten bezahlt werden« wird der deutsche Wirtschaftsstaatssekretär Rainer Baake zitiert. »Erst wenn zum Beispiel Elektroautos massenhaft verbreitet seien, könne dies wieder überdacht werden. Jetzt würde es die Energiewende noch weiter verteuern.«[6] Da die EU-Richtlinie die Einführung nur nach positiver Prüfung der Wirtschaftlichkeit vorschreibt, scheint die Abkehr vom flächendeckenden Smart-Meter-Einsatz in Deutschland auch keine EU-rechtlichen Bedenken auszulösen.

Mit Smart Grids in die automobile Zukunft?

Jedoch rückt die deutsche Bundesregierung mit ihrer Argumentation das Smart Metering als notwendige Voraussetzung für die kommende Umsetzung der Smart Grids in ein anderes Licht. Unter Smart Grids versteht man intelligente Energie- und Kommunikationsnetze, die eine Dezentralisierung in der Erzeugung und Bereitstellung von Strom erlauben. Mittels Smart Meter soll die Verteilung der Lasten in den intelligenten Netzen möglich werden, da speziell bei der Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien wie etwa Wind- und Sonnenenergie hohe Schwankungen auftreten können. Während der Nutzen für Privathaushalte bislang nicht nachgewiesen werden konnte, wird für große StromabnehmerInnen nach wie vor ein Mehrwert erwartet. Wobei es bei den vielfach angeführten Gewerbe- und Industriebetrieben als Profiteure ebenfalls Bedenken an der praktischen Nutzbarkeit gibt, da auch Unternehmen aufgrund von regulierten Arbeits- und Produktionszeiten ihren Stromverbrauch nur eingeschränkt flexibel steuern können. Viel eher scheinen die Steuerungspotenziale der Smart Grids wohl auf den E-Mobility-Markt abzuzielen. Schließlich verbraucht ein einziges Elektroauto pro Jahr alleine fast soviel Strom wie ein durchschnittlicher Haushalt. In seiner Hauptfunktion als Stehzeug verfügt das E-Auto über ausreichend Flexibilität für das Stromtanken zu Überschusszeiten. Dass dem motorisierten Individualverkehr in der intelligenten Stadt der Zukunft tatsächlich noch ein Platz eingeräumt werden soll, liegt wohl am Lobbying der Automobilhersteller, denen in Europa die Felle davonschwimmen. Denn inwieweit private E-Mobility mit ihrer zu erwartenden Verdoppelung des Stromverbrauchs pro Haushalt und die propagierte Ressourcenschonung der Smart City zu vereinbaren sind, bleibt äußerst fraglich. Allein der horrende Flächenanspruch des motorisierten Individualverkehrs wird 
in der wachsenden Stadt wohl bald nicht mehr zur Verfügung stehen.

Hohe Kosten, geringe Ersparnis

Die Brauchbarkeit des Smart Meterings als Werkzeug der Ressourcenschonung auf Ebene von privaten NutzerInnen löst sich in Studienergebnissen mehr und mehr in Luft auf, auch wenn die Grundidee dahinter nachvollziehbar klingt: Die digitale Vermessung jedes Haushalts soll den StromkundInnen möglichst zeitnah ihre Verbrauchsdaten liefern, um so eine Bewusstseinsbildung in Gang zu setzen, die zu einem ressourcenschonenderem Verhalten führt. Soweit die Theorie. In der Praxis hat sich das Potenzial für die Verringerung des Stromverbrauchs durch Smart Metering als verschwindend gering erwiesen: Ein vierjähriger Feldversuch des Fraunhofer Instituts (2011) in acht deutschen Städten konnte gerade einmal ein Einsparungspotenzial von 3,7 Prozent oder rund 30.- Euro pro durchschnittlichem Haushalt und Jahr ausmachen. Wobei die AutorInnen der Studie explizit darauf hinweisen, dass die Kenntnis der Verbrauchsdaten alleine noch zu keiner Verhaltensänderung führte, sondern erst die Kombination mit Stromspartipps die erwünschten Veränderungen in der Stromnutzung ergab. Am Smart Metering selbst zeigten die Versuchspersonen gerade einmal während der ersten zwei Monate Interesse und nur eine absolute Minderheit nutzte das eingerichtete Stromverbrauchs-Informationsportal über den gesamten Zeitraum. Hohes Interesse gab es hingegen für ganz praktische Informationen zum Stromsparen. (Frauenhofer ISI 2011)

Foto @ Stadtfrucht
Foto @ Stadtfrucht

Die Studie von Ernst & Young (2013) im Auftrag des deutschen Wirtschaftsministeriums kommt zu einem noch schlechteren Ergebnis: Sie geht bei einem durchschnittlichen Haushalt gar nur von einem Einsparungspotenzial durch Smart Metering von 1,5 bis 2 Prozent aus. Die geringe Ausbeute in Sachen Stromsparen liegt auch an der gravierend überschätzten Flexibilität von Haushalten: Die meisten NutzerInnen brauchen ganz einfach morgens und abends Strom. Je kleiner die Haushaltsgröße, umso geringer das Einsparungspotenzial und umso höher die Belastung durch die Einführungskosten der Messgeräte, was Smart Metering auch sozial unverträglich macht. Gelockt wird trotzdem mit der Aussicht auf Ersparnis, obwohl die hohen Umstellungskosten von geschätzten 400 Euro pro österreichischem Haushalt bei einer als optimistisch geltenden jährlichen Stromersparnis von rund 30 Euro stark dagegen sprechen. Nicht zu vergessen der Zähler selbst, der für zusätzliche drei Prozent beim Strom-Jahresverbrauchs sorgt. Bei einer Lebensdauer der Smart Meter von derzeit acht Jahren wohl eher ein Minusgeschäft für die StromkundInnen, das zudem die Elektroschrottberge weiter anwachsen lassen wird. Die derzeit noch in Gebrauch befindlichen elektromechanischen Ferraris-Zähler kommen übrigens auf eine Lebensdauer von 40 Jahren. Smart Metering als Nachhaltigkeitsmaßnahme? Wohl nur im Sinne nachhaltiger Gewinne für die Hersteller der Geräte. In Österreich kommen derzeit bereits intelligente Zähler von Siemens, Echelon, Kaifa und Kamstrup zum Einsatz. Die Ausschreibung für die Anbieter in Wien läuft gerade.

Big Data – Big Business – Big Risk

Neben dem Geschäft mit der Herstellung und Wartung der Smart Meter locken aber wohl vor allem die Gewinn-Erwartungen mit Big Data, dem Kerngeschäft aller Smart-City-Bemühungen: Wer die Kontrolle über die möglichst feinmaschigen Daten besitzt, hat Zugriff auf die Goldminen des 21. Jahrhunderts. So meint auch Martin Kaufmann, Geschäftsführer der RKG Energietechnik, die gemeinsam mit Kapsch ein Smart-Meter-Pilotprojekt in Wien durchführt, im Interview mit dem Wirtschaftsblatt, dass die Einführung der Smart Meter nur kurzfristige Einnahmen bringt und die Frage vielmehr lautet »[W]as mache ich mit den Daten? […] Für uns ist das nachhaltige Geschäft interessant. Was kann man an Services installieren?«[7] Keine Überraschung also, dass auch der weltweit größte Datenhändler Google Anfang 2014 den US-amerikanischen Hersteller von Smart-Home-Messgeräten Nest für 3,2 Mrd. US-Dollar kaufte – die zweitgrößte Akquisition in der Firmengeschichte von Google. Ebenfalls nicht wenig überraschend, dass Nest in den USA trotz vorerst gegenteiliger Aussagen schon bald Daten aus den privaten Haushalten der Nest-Geräte-BenutzerInnen an den neuen Besitzer Google lieferte und mittlerweile auch an Dritte weiter verkauft. Rechtlich ist das möglich, denn mit dem Kauf stimmt man in den AGBs auch der Verwertung seiner Daten zu. Dass die smarten Messgeräte von Nest mittlerweile auch schon gehackt wurden um herauszufinden, wann die BesitzerInnen zu Hause sind oder vielmehr wann die Wohnung leer steht, überrascht ebenfalls nicht wirklich. Das Smart Metering stößt bei Datenschützern auf mannigfaltige Bedenken, für die es bisher noch keine wirklichen Antworten von Seiten der Gesetzgeber gibt. Zum einen ergeben sich durch die kurz getaktete Datenübermittlung detailgenaue Nutzerprofile: Über die Verbrauchsmessung lassen sich beispielsweise Rückschlüsse über Anwesenheitszeiten und die Anzahl der Personen in einem Haushalt ziehen, ebenso erzählen die Daten darüber, welche Geräte wann genutzt werden bis hin zu welches Fernsehprogramm gerade geschaut wird. »Intelligente Stromzähler plaudern alles aus« konstatiert auch Andreas Bentz, Datenexperte beim Living Lab T-City Friedrichshafen der Deutschen Telekom, und plädiert in einem Interview mit dem Technologie-Portal futurezone.at dafür »endlich aufzuhören Datenschutz und Sicherheitsthemen zu verniedlichen«, auch weil es sich bei den Smart-Meter-Messungen »klar um personenbezogene Daten handelt«. Als Beispiel nennt Bentz folgendes Zukunftsszenario: »(…) wenn ich beispielsweise feststellen kann, dass Herr Müller nachts fünfmal das Licht anmacht und fünfmal Wasser benutzt, kann es sein, dass eine Lebensversicherung einen Verdacht auf Prostatakrebs aus diesem Verhalten schließt und dann sagt: Der muss so häufig auf die Toilette, dem gebe ich keine Lebensversicherung mehr.« (Wimmer 2011) Da die Bestimmungen über Zugriff und Nutzung der Daten bisher sehr schwammig formuliert sind und nicht geklärt ist, wie der Stromanbieter und wie Konsument oder Konsumentin Kontrolle über die Daten erhält, ist eine Verwertung durch Dritte zu erwarten. Selbst wenn dazu die ausdrückliche Zustimmung der KonsumentInnen notwendig ist, zeigen Erfahrungen mit Smart-Phone-Apps, dass die Einwilligung leicht über AGBs erlangt werden kann. Erwartet werden auch finanzielle Lockangebote, bei denen ein niedrigerer Stromtarif mit der Einwilligung zur Verwertung der Haushaltsdaten einhergeht. Diese Vorgehensweise wird auch in der Smart-Meter-Wirtschaftlichkeitsstudie von Ernst & Young vorgeschlagen: »Darüber hinaus könnte die Bereitstellung der Daten gegen einen Abschlag auf den Strompreis erfolgen, so dass der Kunde eine größere Bereitschaft hat die Daten zur Verfügung zu stellen und zudem einen monetären Zusatznutzen daraus erzielt.« (2013, S. 132) Ein anderer Einspruch von IT-ExpertInnen betrifft die Sicherheit des Smart Meterings: Als Teil des »Internet der Dinge« ist auch die digitale Verbrauchsmessung und ihre Übertragung Hacker-Angriffen ausgesetzt. Spanische IT-SpezialistInnen demonstrierten auf der *Black-Hat-*Konferenz in Amsterdam[8] im Herbst 2014 eindrücklich, wie leicht die bisher acht Millionen spanischen Smart Meter gehackt, ihre Stromrechnungen manipuliert und durch gleichzeitiges Abschalten ein Blackout im Stromnetz herbeigeführt werden könnte.[9] Ein Szenario, das theoretisch auch für Österreich denkbar wäre, wie Markus Kammerstetter vom Institut für Rechnergestützte Automation an der TU Wien gegenüber futurezone.at erklärt. Gemeinsam mit dem Austrian Institute of Technology forschte die TU Wien im Projekt (SG)2 an Sicherheitsmaßnahmen für Smart-Grid-Technologien sowie Schutzmaßnahmen gegen Cyber-Attacken.[10] Generell gehen SicherheitsexpertInnen davon aus, dass digitale Infrastruktur die Verletzlichkeit der urbanen Systeme deutlich erhöht – sowohl was die Wartung als auch was die Angreifbarkeit von außen betrifft.

Smarter Widerstand

Für die Einführung der Smart Meter in Wien (und dem Rest von Österreich) spricht derzeit jedenfalls nach rationalen Gesichtspunkten rein gar nichts, außer einer Regulierungsbehörde, die scheinbar gegen jede Vernunft am geplanten Rollout festhalten will. Warum das so ist, kann nur vermutet werden, und man darf annehmen, dass die engen wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen IKT-Herstellern und der Politik dabei eine Rolle spielen. Als gesichert kann jedenfalls gelten, dass die Einführungskosten von geschätzten 360 Millionen Euro in Wien bzw. veranschlagten 1 bis 1,5 Milliarden Euro für ganz Österreich bei den KonsumentInnen landen werden – alles andere wäre für die mit der Einführung betrauten Netzbetreiber betriebswirtschaftlicher Selbstmord. Ein hoher Preis für ein Gerät, das so gut wie keinen Strom spart, sondern maximal Lasten verteilt, aufgrund der hohen Einführungs- und Betriebskosten sozial unverträglich ist, geradezu alarmierende Potenziale zur Kontrolle und Überwachung des Privatlebens jedes einzelnen Bürgers und jeder einzelnen Bürgerin besitzt, die Verletzlichkeit der städtischen Infrastruktur massiv erhöht, mit einer Lebensdauer von derzeit rund 8 Jahren die Elektroschrottberge weiter anwachsen lassen wird und alle Voraussetzungen bietet, um die ermittelten Datenprofile der Haushalte gewinnbringend an Dritte weiter zu verkaufen.

Foto @ justine warrington
Foto @ justine warrington

Warum man sich das als KonsumentIn gefallen lassen sollte, ist schwer zu erklären. Das findet auch die ARGE Daten, die für Österreich ein individuelles Opt-Out rechtlich durchgesetzt hat: Mittels Einspruch kann man sich gegen die Installation eines Smart Meters per Gesetz wehren. In der 2013 veröffentlichten Änderung des Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetzes 2010, des Gaswirtschaftsgesetzes 2011 und des Energie-Control-Gesetzes, § 83, Absatz 1 heißt es dazu wörtlich: »Im Rahmen der durch die Verordnung bestimmten Vorgaben für die Installation intelligenter Messgeräte hat der Netzbetreiber den Wunsch eines Endverbrauchers, kein intelligentes Messgerät zu erhalten, zu berücksichtigen.« [11] Die österreichische Mietervereinigung, die ebenfalls mobilisiert hatte, bietet zu diesem Zweck ein Einspruchs-Formular zum Download an.[12] Laut Wien Energie soll die Umrüstung auf Smart Metering in der Smart-City-Vorzeigestadt an der Donau im Jahr 2015 beginnen. Bleibt zu hoffen, dass die Wiener ihre »1,7 Millionen Hirne« nutzen, so der Slogan einer Smart-City-Kampagne, um von ihrem Einspruchsrecht Gebrauch zu machen. Denn Widerstand gegen diesen unsinnigen Ausverkauf der Stadt, bei dem ausschließlich die Big Player im IT-Business profitieren, ist dringend angesagt. Die Stadt Wien, die in ihrer Smart-City-Strategie nicht müde wird zu betonen, dass die Menschen im Mittelpunkt aller Bemühungen stehen, sieht beim allerersten smarten Business-Ansinnen der Wirtschaft jedenfalls nicht gut aus. Anstatt sich auf die Seite des Souveräns zu stellen und die Interessen der StadtbewohnerInnen (und WählerInnen) zu wahren, versucht man die Einführung der Smart Meter als eines der derzeit größten Projekte der Energiewirtschaft sogar schneller durchzuziehen als von der EU vorgeschrieben. Ob auf diese Weise das Vertrauen in alle weiteren smarten Vorhaben gestärkt werden kann, bleibt äußerst fraglich. »Aber mir passen mehr auf de Leit auf«? Geschenkt. Jenseits von Sonntagsreden und PR-Nebelgranaten, so scheint es, ist auch das »g’scheite« Wiener Vorhaben nur das, was die Smart City von Anfang an war: Ein gigantisches Geschäftsfeld für die Interessen globaler IKT-Konzerne.

Fußnoten

http://www.fastcoexist.com/3024721/the-10-smartest-cities-in-europe. [7.12.2014]


  1. ↩︎
  2. http://ww2.frost.com/news/press-releases/frost-sullivan-global-smart-cities-market-reach-us156-trillion-2020/. [7.12.2014] ↩︎

  3. Amtsblatt der Europäischen Union, 14.11.2012, Absatz (27) bzw. (31). https://www.bmwfw.gv.at/EnergieUndBergbau/Energieeffizienz/PublishingImages/Text Energieeffizienzrichtlinie.pdf. ↩︎

  4. http://www.e-control.at/de/publikationen/publikationen-strom/studien/einfuehrung-smart-metering. [7.12.2014] ↩︎

  5. http://ftp.freenet.at/privacy/gesetze/stellungnahme-elwog-2010.pdf. ↩︎

  6. http://www.energie-bau.at/index.php/strom-steuerung/keine-smart-meter-fuer-deutsche-haushalte/menu-id-37.html. ↩︎

  7. http://wirtschaftsblatt.at/home/nachrichten/oesterreich/wien/1502769/RKG-Energietechnik-sucht-neue-Geschaeftsmodelle. ↩︎

  8. https://www.blackhat.com/eu-14/briefings.html#lights-off-the-darkness-of-the-smart-meters. ↩︎

  9. http://futurezone.at/science/spanische-smart-meter-koennen-einfach-gehackt-werden/91.479.373. ↩︎

  10. https://www.auto.tuwien.ac.at/projects/viewBlog/42/. ↩︎

  11. http://ftp.freenet.at/privacy/gesetze/BGBl-I-174_2013.pdf. ↩︎

  12. https://mietervereinigung.at/News/841/5024/Smart-Meter-Wahlrecht-wird-bezweifelt. ↩︎


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Literaturliste

Ernst & Young (2013): „Kosten-Nutzen Analyse für einen flächendeckenden Einsatz intelligenter Zähler“. Verfügbar unter:  <www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/Publikationen/Studien/kosten-nutzen-analyse-fuer-flaechendeckenden-einsatz-intelligenterzaehler,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf> (Stand 7.12.2014).
Fraunhofer ISI (2011): Smart metering in Germany and Austria – results of providing feedback information in a field trial. In: Working Paper Sustainability and Innovation, No. S 6/2011. Karlsruhe. Verfügbar unter: <www.isi.fraunhofer.de/isi-wAssets/docs/e-x/working-papers-sustainability-and-innovation/WP6-2011_smart-metering-in-Germany.pdf> (Stand 7.12.2014).
Greenfield, Adam (2013): Against the smart city. New York: Do projects.
Magistrat der Stadt Wien (2014): Smart City Wien – Rahmenstrategie. Wien. Verfügbar unter: <smartcity.wien.gv.at/site/wp-content/blogs.dir/3/files/2014/08/Langversion_SmartCityWienRahmenstrategie_deutsch_einseitig.pdf>.
Magistrat der Stadt Wien (2014a): Smart City Wien – Rahmenstrategie, Überblick. Wien. Verfügbar unter: <smartcity.wien.gv.at/site/files/2014/10/140924_KF_SCW_gesamt_DE.pdf>.
PwC PricewaterhouseCoopers (2012): Studie zur Analyse der KostenNutzen einer österreichweiten Einführung von Smart Metering. Verfügbar unter: <www.e-control.at/portal/page/portal/medienbibliothek/strom/dokumente/pdfs/pwc-austria-smart-metering-e-control-06-2010.pdf> (Stand 7.12.2014).
Söderström, Ola, Paasche, Till & Klauser, Francisco (2014): Smart cities as corporate storytelling. In: City, Vol. 18, No.3, S. 307-320. Townsend, Anthony M. (2013): Smart Cities: Big Data, Civic Hackers and the Quest for a New Utopia. New York: W. W. Norton & Company.
Wimmer, Barbara (2011): Smart Metering – »Intelligente Stromzähler plaudern alles aus.« Interview mit Andreas Bentz, Smart Metering und Smart Grid-Experte von T-Systems. Verfügbar unter: <futurezone.at/science/intelligente-stromzaehler-plaudern-alles-aus/24.571.995> (Stand 7.12.2014).