» Texte / Sprung über die Elbe – Inselhopping oder nachhaltige Aktion?

Katharina Held

Katharina Held studierte Kultur der Metropole an der HafenCity Universität in Hamburg und schloss ihren Master in Urban Studies am University College in London ab.


Flächenmäßig ist Wilhelmsburg der größte Stadtteil Hamburgs und dennoch ein Ort, der auf vielen Hamburg-Karten weiterhin nicht zu finden ist und den auch HamburgerInnen nicht immer verlässlich lokalisieren können. Dabei gehört der Stadtteil auf Europas größter Flussinsel zum Bezirk Hamburg-Mitte und erhält seit Jahren verstärkte mediale Aufmerksamkeit. Waren es bisher meist Schreckensgeschichten aus der »Bronx des Nordens«, so verheißen die Schlagzeilen in diesem Jahr einen Umbruch: Von der Stadt der Zukunft ist die Rede, einem multikulturellen, attraktiven Stadtteil und von Hamburgs »Central Park«.

Im Rahmen des Metropolenwettberwerbs und des Leitbildes »Wachsende Stadt« (wettbewerbsorientierte Standortpolitik, Kreative und Nachhaltige Stadt) werden in Hamburg seit 2002 Programme zur Stadtentwicklung aufgelegt, um die innerstädtischen Viertel zu reaktivieren. Wilhelmsburg – geprägt durch die umgebende Hafenindustrie und eine spezifische Migrationsgeschichte – wurde in diesem Zusammenhang als »Problemviertel« benannt. Der »Sprung über die Elbe« soll nun den Stadtteil nicht nur symbolisch näher an die Kernstadt binden. Hamburg setzt in seiner Stadtentwicklungspolitik auf Festivalisierung und Eventproduktion: 2013 findet im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg die Präsentation der Internationalen Bauausstellung (IBA) statt. Gleichzeitig öffnet eine weitere Tochtergesellschaft der Freien und Hansestadt Hamburg ihre Tore, die Internationale Gartenschau (igs).

Rechtzeitig zum Präsentationsjahr von IBA und igs meldet sich auch die Opposition mit dem Buch Unternehmen Wilhelmsburg. Stadtentwicklung im Zeichen von IBA und igs und präsentiert eine kritische Analyse der lokalen Stadtentwicklungsprozesse. In dem schlichten blauen Band finden sich sieben Texte verschiedener AutorInnen, allesamt Mitglieder des Arbeitskreises Umstrukturierung Wilhelmsburg (AKU). Der 2006 entstandene Arbeitskreis vereint eine heterogene Gruppe von Menschen, die sich mit Wohn- und Lebensverhältnissen im Stadtteil auseinandersetzen und mit dem Buch vor allem soziale Realitäten und nicht benannte Konflikte sichtbar machen wollen, die – so die AutorInnen – von den bunten Bildern und den Selbstdarstellungen von IBA und igs grundsätzlich verdeckt werden. Der AKU ist Teil des Hamburger Netzwerks Recht auf Stadt.

Das Buch beginnt mit einer Einführung zum Stadtteil: Atmosphären, Orte, Geschichten werden aufgemacht und der Raum Wilhelmsburg für LeserInnen in seinem Facettenreichtum umrissen. Ein dem Buch angehängtes Glossar zu den wichtigsten verwendeten Begriffen ergänzt dieses Bild und führt gleichzeitig in Hamburgs stadtpolitische Prozesse der letzten zehn Jahre ein. Auch innerhalb der folgenden Texte zu Beteiligungsstrategien der IBA, »Landnahme« durch die igs, aktuellen Wohnungsverhältnissen und Formen des Stadtmarketings in Hamburg findet eine stetige Kontextualisierung der Ereignisse statt, was die Argumentation der VerfasserInnen sehr nachvollziehbar macht.

Auch die Aufwertung des Raumes durch die igs ist Thema im Buch. Kritik trifft dabei die Privatisierung des Geländes und der Gebäude und die langjährige Sperrung der Grünfläche im Herzen Wilhelmsburgs, deren Zukunft nach 2013 ungewiss scheint. Ein Artikel von Peter Birke zieht beispielsweise ein kritisches Resümee zur Beziehung von »Kunst und Gentrifizierung auf den Elbinseln« und die Rolle der KünstlerInnen im Prozess der Aufwertung und deren Funktionalisierung durch die IBA (und die igs): »Kaum eine bekannte Akteurin oder ein bekannter Akteur der Recht-auf-Stadt-Kunstszene, der oder die nicht wenigstens einmal in Wilhelmsburg an Ausstellungen oder Projekten teilgenommen hätte, und der größte Teil der Projekte war durch die IBA zumindest mitfinanziert«.

Christian Gatermann und Tina Habermann ziehen in ihrem Text über die Stadtmarketingstrategien der IBA ebenfalls ein kritisches Fazit: »Wie ein roter Faden zieht sich die Funktion der IBA durch ihre Praktiken: Wertschöpfung für eine Stadt, die sich entschieden hat, eines ihrer Viertel nicht zu sanieren, um den Bewohnern und Bewohnerinnnen ein bezahlbares und gutes Leben zu ermöglichen, sondern um ein Kreativ-Unternehmen zu bezahlen […,] Images zu erschaffen«.

Wie sich Politik und Praktiken auf die alltäglichen Wohn- und Lebensverhältnisse von WilhelmsburgerInnen auswirken, wird in zwei weiteren Texten des Buches skizziert, die sich unter anderem mit den stadtpolitischen Interventionen auf dem lokalen Wohnungsmarkt auseinandersetzen. Findet hier eine »Aufwertung ohne Verdrängung« statt, wie sie von der IBA proklamiert wird? Jörg von Prondzinski geht in seinem Text zur Beteiligungsstrategie der IBA darauf ein: Die IBA in all ihrer historischen Dimension, mit ihren Vorgehensweisen, ihren Absichten, ihren positiven wie negativen Wirkungen, ihren Leistungen für die Stadtentwicklung spaltet die Gemüter und schafft Fronten. Das Buch des AKU trägt in jedem Fall dazu bei, informiert in die Auseinandersetzung um das aktuelle Geschehen auf der Elbinsel einsteigen zu können.

Es benennt Höhen und Tiefen des andauernden Prozesses, verortet Konflikte zeitlich und örtlich, entlarvt Versprechen der neoliberalen Stadtpolitik und zeichnet ein kritisches Bild der Situationen auf der Elbinsel. Persönliche Erfahrungsberichte, historische und systematische Fakten zu IBA und igs und Analysen sprechen eine klare Sprache und machen den persönlichen Standpunkt der VerfasserInnen mehr als deutlich. Dennoch bleibt Raum für Reflexionen. So kann nach der Lektüre jede/r Einzelne die Frage für sich (erneut) beantworten: Wie hältst du es mit der IBA?


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