» Texte / Wenn das Öffentliche privat und das Private öffentlich wird

Ursula Maria Probst


In der Publikation Medienkulturen fasst Marc Ries eine Sammlung von Texten aus den letzten 15 Jahren zusammen, die sich speziell mit der Rolle der Massenmedien in der Herausbildung postmoderner Kulturen und der daraus resultierenden Kulturtechniken befassen. Mediale Praxen wie Fotografie, Film, Fernsehen und Internet werden ohne den Anspruch auf Medienkritik als kulturerzeugende und kulturtransformierende Aktivitäten betrachtet. Eine spezielle Rolle wird dabei dem Körper zugeschrieben, der durch die medialen Transformationen einer Veränderung unterliegt und dessen sozialer Raum durch die Medien produziert wird. Überlegungen über die Massenmedien sind für Marc Ries kaum möglich, ohne Überlegungen über die Raumkonfigurationen in denen Bilder entstehen, seien es nun die Erzählräume in Filmen oder die kommunikativen und sozialen Räume.
Wie sich die Medientechniken auf unseren heutigen Lifestyle auswirken, behandelt Marc Ries in seinen Essays trotz theoretischem Hintergrund auf amüsante, lebensnahe Weise. Ein wesentliches Anliegen bildet die Methode, sich den Vorgaben der Erzählung und Repräsentation zu entziehen. Wie Marc Ries in seinem Anfangskapitel B. B. und das Denken der Bilder am Leitfaden des Leibes bereits ankündigt, ist es offensichtlich, dass der menschliche Körper durch die Fotografie und den Film eine seltsame zweite eigenständige Existenz erlangt. Subtil analysiert Ries, wie mit dem Gesicht der Filmikone Brigitte Bardot eine Intimität und fühlbare Nähe hergestellt wird. Die Differenz ihres körperlichen Altwerdens befindet sich so im Kontrast zur zeitlosen Erscheinung ihres Gesichtes innerhalb filmischer Erzählungen. Laut den Ausführungen von Ries steht der fotografischen Faktizität biologischen Alterns die filmische Erzählung erotischer, sexueller Repräsentanz gegenüber.
Fazit seiner Lektüre des Bewegungs- und Zeitbildes von Gilles Deleuze ist, dass der Film sich aus den immanenten Eigenschaften der Bilder heraus entwickelt. Ein zentrales Kapitel nimmt im Buch John Cassavetes Film A Woman Under the Influence mit Gena Rowlands in der Hauptrolle ein. Gena Rowlands ist zugleich Gena Rowlands, indem sie in ihrer Rolle mit sich als Realfrau eine bestimmte Beziehung eingeht und ihr Körperspiel forciert. Als Referenz für diesen Essay zieht Marc Ries nicht Deleuze, sondern Schopenhauer heran. In Anlehnung an Arthur Schopenhauer objektiviert sich die Bewegung des Leibes durch den in Anschauung getretenen Akt des Willens und des Schmerzes. Die Technik der Einverleibung der Willenstechnik findet Parallelen in den Schriften von Hannah Arendt. Hautnah wird nachvollzogen, wie Schmerz und Wollust in diesem Film zu Affekten des Willens werden und jede willkürliche Bewegung zu einem sichtbaren Willensakt. Laut Ries ist die Architektur der verschwiegene Hauptakteur im Film. Durch die filmische Projektion der Räume ermöglicht das Kino zugleich ein Ankommen in den eigenen Räumen.
Im zweiten Teil reflektiert Ries die Funktion der Übertragungsmedien als Energie, Verkehrs- und Sozialsysteme und wie durch die Massenmedien Fernsehen, Internet und Film eine Durchmischung von Privatraum und öffentlichem Raum eintritt. Als neuen Terminus greift Ries nun die geoästhetischen Strategien der Massenmedien auf, um die kulturellen Prozesse, die aus der Veränderung unserer Raumerfahrung resultieren, zu konkretisieren. Die Anschlussmöglichkeiten durch Fernsehen und Internet erschließen neue Räume und schaffen eine Art Ersatzwohnung. In Anlehnung an Michel Foucault ist die Kunst der Netze immer eine diskursive; weniger am Produkt, als am Diskurs und an der Kommunikation orientiert. In der Auseinandersetzung mit der Netzkunst wendet Marc Ries so Foucaults Diskursbegriff an. Ein Gestus der Leichtigkeit macht sich in der Lektüre bemerkbar und aktiviert die Lust am Lesen.


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