Heidi Schatzl


Mit einem panoptischen Blick durchs Fenster aus Thomas Bernhards Auslöschung, in der es dem Autor gelingt Überwachen und Strafen als Nachmittagsbeschäftigung zu überführen, leitet Sigrid Hauser Kafkas Architektur ein. Sie umklammert mit Bernhards „unbeweglichen“ Räumen und „lächerlichen“ Handlungsaussichten die Räume von Kafkas Prozess und geht der Frage nach, in welche Architektur die unaussprechlichen Szenen Kafkas eingeschrieben sind.

Die SchriftstellerInnen, so könnte man meinen, haben den ArchitektInnen (und anderen RaumproduzentInnen) voraus, dass sie nach Einschreibungen im Raum suchen, schließlich müssen sie ihre Figuren verorten. Bernhard ist eigen, dass er literarisch nicht Räume entwirft, sondern als sachkundiger Makler bestehende Räume heranzieht. Sein Verhältnis zur Architektur ging anscheinend soweit, dass er sich Bauernhöfe kaufte um schreiben zu müssen. Ich habe Bernhards Auslöschung in Rom gelesen und bin nicht umhin gekommen, an den Schauplätzen unweigerlich nach Anknüpfungspunkten zu suchen. Das Irritierende hierbei ist nicht die Phantasie, sondern die Überlagerung zwischen Wirklichkeit und Fiktion.

Unter dem Titel Bauformen der Imagination versammeln Karin Harrasser und Roland Innerhofer Ausschnitte einer Kulturgeschichte der architektonischen Phantasie. Neun Beiträge, die Architektur auf der Bühne, im Film, in der Literatur, im Zusammenhang mit Phantasma und Totalität, Avantgarde und im imaginären Leben beschreiben. Juliane Vogel befasst sich in Schein des Steins mit einer Kulisse der Schwere: Wagners Wallhall. Die Kulisse musste deshalb martialisch schwer und auf guten Grund gebaut wirken, um dem aufstrebenden Bürgertum ein symbolisches und antisemitisches Gewicht zu verleihen. Am Ende war die Erstaufführung ein Desaster für Wagner, weil die zur Schau gestellte Massigkeit eines Regenbogens, über den die SchauspielerInnen wanderten, ins Lächerliche kippte.

Im Gegensatz dazu macht sich beispielsweise über den Triumpfbogen in Paris niemand lustig, man könnte meinen, „der Rahmen macht das Fenster“, was soviel heißen soll wie der Place Charles de Gaulle ist nicht die Bühne, obwohl Napoleon seinen Soldaten theatralisch versprach „Ihr werdet durch Triumphbögen heimkehren!“ (Napoleon, so heißt es in einem anderen Buch bei Werner Telesko, war der erste, der die Kunst soweit instrumentalisierte, dass er damit die Grundlage für die Propaganda im 20. und 21. Jahrhundert legte.)

Der Turmbau zu Babel taucht in mehreren Beiträgen des Buches auf (u.a. auch als Vorbild für den Eiffelturm). Anton Kaes nimmt in Zur Babel-Szene in Fritz Langs Metropolis darauf Bezug und auch indem er den Zusammenhang zwischen Lang als Filmemacher und seiner Nähe zur „Gläsernen Kette“, Architektengruppe um Bruno Taut, Mies van der Rohe, Walter Gropius als „Priester-Architekten“, erschließt.

Der quasi-religiöse Habitus wird damit begründet, dass der Film ein Erlösungsmodell für eine bessere Welt anbietet, das u.a. über die Architektur transportiert wird. Langs Masseninszenierungen, die bereits zu Anlaufen des Films 1927 als „Das Ornament der Masse“ verstanden wurden, hatten den Effekt, so Kaes, dass „die Massen nun selbst Teil der spektakulären Architektur“ wurden. Fünf Jahre später, glaubt man Wikipedia, sollte ein Propagandaminister Lang die Leitung des deutschen Films anbieten, woraufhin Lang noch am selben Tag emigrierte.

So verwundert es auch weiter nicht, dass Gisela Steinlechner in ihrem Beitrag erwähnt, dass Arbeiten der Sammlung Prinzhorn – eine Kunstsammlung von bildnerischen Arbeiten von Geisteskranken, die 1920 angelegt wurde, – aus dem Zusammenhang gerissen für die Beweisführung von „entarteter Kunst“ herangezogen wurden.

In der Zusammenstellung Phantasma und Totalität nimmt Astrid Lefenda Gärtner und ihre Gärten heraus. Der Garten als weltliche Platzierung des Paradieses hat allerhand heterotope Kulturgeschichte gesammelt. Die grauslichen Geschichten im Garten bei Werfel und Jünger, in denen der Mensch Versuchsobjekt geworden ist, sind an patriarchale Schöpfungsmythen angelegt. Der in der Literatur meist unsichtbare Gärtner wird im Genre gern zum Mörder – doch nur zur Tarnung verkleiden sich Mörder als gute Gärtner, die „Berufsgärtner“ sorgen weiterhin für das reibungslose Funktionieren der Garten- und Parkwelt auch unter diabolischer Regie.
Das Schöne an dem Buch ist, dass die Beiträge zwischen Imaginärem und Realem pendeln (übrigens ist der Flughafen Charles de Gaulle so groß, dass ich, obwohl ich wollte, es nicht schaffte, mir die „ortlose Raumstation (...) einer nicht mehr gefahrlos betretbaren Stadt“, so der Beitrag von Christoph Asendorf, anzuschauen) und sie spinnen sich weiter.

Nicht nur, so wie Lefenda schreibt, dass in der phantastisch-utopischen Literatur das Weibliche keinen Platz im selbstgebärenden technischen Garten hat, ist es eigentlich erstaunlich, dass kein Beitrag eine Bauform aufgreift, die ein bisschen etwas mit Frauen zu tun hätte, damit meine ich, von Frauen gemacht, entworfen, entwickelt, bespielt, bewohnt, erlebt.

Eine Lücke in den Bauformen ist es auch, obwohl die Beiträge chronologisch geordnet sind, dass ein Artikel fehlt, der die Thematik Bauformen der Diktatur aufgegriffen hätte. Als Subtext haben die AutorInnen die Hinführung zum Nationalsozialismus gemeinsam, die HerausgeberInnen haben stattdessen „die Welt als Kulisse“ (Florian Nelle) verstärkt betont. Das wäre auch ok, denn gerade in einer Diktatur verkommen Raum und Masse zur ornamentalen Inszenierung.


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