Josef Hierlmeier


Die Publikation Raumproduktionen ist Band eins einer Serie mit der die die Herausgeber Bernd Belina und Boris Michel das Ziel verfolgen, eine Leerstelle in der deutschsprachigen Raumforschung zu füllen, die in der Abwesenheit einer kritisch-materialistischen Raumforschung – ähnlich der angelsächsischen Tradition der Radical Geography – begründet liegt. Radical Geography analysiert die gesellschaftliche Produktion des Raumes, der durch soziale Kämpfe strukturiert ist. Räume werden deshalb nach Interessen und sozialen Widersprüchen befragt, die sich in sie eingeschrieben haben. Darüberhinaus beziehen sich die Herausgeber in ihrem einleitenden und sehr informativen Beitrag auf Arbeiten von David Harvey, Michel Foucault und Henri Lefebvre. Genau dieser soziale Bezug des Raumes fehlt in der deutschsprachigen Forschung auch nach dem verspäteten spatial turn. Der deutschsprachige Mainstream zeichnet sich durch eine abstrakte Theoretisierung des Raumes aus, anstatt nach den räumlichen Dimensionen kapitalistischer, patriarchaler und rassistischer Vergesellschaftung sowie den Widerstandsmöglichkeiten zu fragen.

Um die angesprochene Leerstelle zu füllen haben die Herausgeber zehn Beiträge versammelt, die keine umfassende Übersicht, wohl aber einen guten Einstieg in wichtige Debatten der Radical Geography liefern. Sie verweisen selbst auf die blinden Flecken, die der Band aufweist. Dazu gehören etwa Debatten über den neuen Imperialismus, Migration, Grenzen und transnationale Räume, politische Ökologie und Produktion von Natur sowie Fragen von Körper, Sexualität und Queerness. Insofern hätte die Auswahl der Texte auch zu anderen Entscheidungen führen können. Dennoch liest man die meisten der zehn ausgewählten Texte mit Gewinn. Diese untergliedern sich in zwei Teile, wovon sich Teil eins mit konzeptionellen Überlegungen zur Raumtheorie beschäftigt. Den Einstieg bildet dabei ein Artikel von David Harvey Zwischen Raum und Zeit: Reflektionen zur Geographischen Imagination aus dem Jahr 1990, der zugleich einen Überblick über seine raumtheoretischen Arbeiten liefert. Die Bedeutung des Raumes in der Geschichte marxistischer Theorie und der kritischen Sozialwissenschaften beleuchtet der Artikel von Edward Soja. Diese Ansätze verknüpft Doreen Massey mit einer feministischen Kritik des Raumes.

Im zweiten Teil stehen empirische Analysen konkreter Raumproduktionen im Mittelpunkt. Cindi Katz untersucht in Hiding the Target am Beispiel des Grand Central Terminal in New York, wie die Folgen neoliberaler Raumproduktion unsichtbar gemacht werden. Sie sieht darin eine rechte Antwort auf die realen Erfolge emanzipatorischer Bewegungen der 1960er und 70er Jahre. Eugene J. McCann nimmt in Rasse, Protest und öffentlicher Raum die Tötung des Afroamerikaners Tony Sullivan durch einen weißen Polizisten zum Anlass, um im Rückgriff auf Lefebvres ergänzungsbedürftige Triade von gedachtem, erfahrenem und gelebtem Raum den rassistischen Charakter städtischer Räume zu analysieren. Sehr lesenswert ist auch Don Mitchells Beitrag über Die Vernichtung des Raums per Gesetz: Ursachen und Folgen der Anti-Obdachlosenbewegung in den USA. Die Vertreibung Obdachloser aus den öffentlichen Räumen ist auch die Folge einer Transformation von Öffentlichkeit, denn diese ist immer weniger der Ort von Kritik und Debatte. Vielmehr werden Ängste auf die Obdachlosen projiziert, was zur Folge hat, dass die organisierte Verfolgung dieser als gerecht erscheint.

Deutlich wird jedenfalls, wie reichhaltig die Debatten über die soziale Konstruktion des Raumes innerhalb der Radical Geography sind. Der Band ist deswegen all jenen ans Herz zu legen, die sich intensiver mit Raumtheorien beschäftigen wollen. Auf die Fortsetzung der mit diesem Band begonnenen Reihe Raumproduktionen. Theorie und gesellschaftliche Praxis darf man gespannt sein.


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