Josef Kohlbacher

Josef Kohlbacher ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Stadt- und Regionalforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Seine Schwerpunkte sind Migrations- und Arbeitsmarktforschung.

Ursula Reeger


Wer Tür an Tür mit AusländerInnen zusammenlebt, ist fremdenfeindlich eingestellt. Oder aber: Wer AusländerInnen als NachbarInnen hat, zeigt Toleranz für deren Kultur und ihr von inländischen Normen manchmal abweichendes Verhalten. Beide Annahmen klingen logisch. Doch welche ist richtig?
Tatsächlich stellt die Forschung dazu bislang keine klaren Antworten zur Verfügung. Es gibt Untersuchungen, die eine mit der Zunahme von Kontakten einhergehende Verminderung von Fremdenfeindlichkeit feststellen. Andere Studien belegen nur geringe Auswirkungen oder bestreiten Effekte des AusländerInnenanteils im Wohnumfeld auf die Verstärkung bzw. Verringerung von Vorurteilen überhaupt. Die Tagespresse weist in erster Linie auf das Konfliktpotential des Tür-an-Tür-Wohnens von In- und AusländerInnen hin, das sich bestenfalls als ein Nebeneinander abspielt, aber kein Miteinander ist. Den Wiener Gemeindebauten werden erhebliche Spannungen zwischen InländerInnen und »Neo-ÖsterreicherInnen« attestiert. Vielfach wird von einer künftigen Verstärkung dieser Konflikte ausgegangen. Vieles an diesen Konfliktszenarien ist allerdings nur Spekulation. Wissenschaftlich fundierte Ergebnisse über Fremdenfeindlichkeit in der WohnnachbarInnenschaft fehlten für Wien bislang. Zur Klärung dieser kontroversiellen Frage wurde von uns im Juni 1998 bei einem Meinungsforschungsinstitut eine repräsentative Erhebung in Auftrag gegeben. Befragt wurden fast 1.000 Wiener und Wienerinnen. Diese stammten - über die ganze Bundeshauptstadt verteilt - aus Wohnumfeldern (Baublöcken) mit stark unterschiedlichen AusländerInnenanteilen.
NachbarInnenschaft beinhaltet zwei Elemente: die räumliche Nähe des Wohnens und soziale Beziehungen. Räumliche Nähe ist eine zwar notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für Sozialkontakte. Im Bereich des ethnisch gemischten Wohnens prallen nicht selten unterschiedliche Verhaltensstandards von In- und AusländerInnen aufeinander. Das Wohn- und Freizeitverhalten vieler ImmigrantInnen ist weniger ausschließlich auf die Wohnung bezogen, sondern stärker außenorientiert. Das Sozialverhalten ist häufig intensiver und kommunikativer. Daraus können Konflikte entstehen.
Immerhin 28 % der im Rahmen unserer Studie befragten BewohnerInnen von ethnisch gemischten Wiener Wohnhäusern gaben sehr häufige bzw. häufige Kontakterfahrungen mit NachbarInnen nichtösterreichischer Herkunft an, nur 17 % verfügen über keine solchen Kontakte. Die Häufigkeit und die Qualität der Kontakte mit ausländischen NachbarInnen werden durch den AusländerInnenanteil im Haus, das Alter sowie das Bildungsniveau wesentlich beeinflusst. Je mehr ausländische NachbarInnen vorhanden sind, desto zahlreichere Kontaktchancen bestehen und desto höher ist auch die nachweisbare Kontakthäufigkeit. Eine höhere Schulbildung ist Kontakten mit »fremden« NachbarInnen ebenfalls förderlich. Häufige oder sehr häufige Kontakte geben nur 16% der Befragten mit Lehrabschluss, aber immerhin 40% der UniversitätsabsolventInnen an. Ein höheres Bildungsniveau führt auch zu einer besseren (Eigen)beurteilung der Qualität des NachbarInnenschaftsverhältnisses. Weiters spielt das Alter eine wichtige Rolle. Jugendliche (unter 19 Jahren) und SeniorInnen über 70 schätzen ihre Kontakte zu MigrantInnen im Wohnumfeld am schlechtesten ein. Bei den Alten ist der Anteil derjenigen, die überhaupt keinen sozialen Umgang mit ausländischen NachbarInnen haben, auch deutlich höher als in allen anderen Altersgruppen.
Im alltäglichen Umgang zeigt sich eine deutliche Distanziertheit bei den Kontaktformen. Nichtösterreichische NachbarInnen werden in der Regel zwar gegrüßt, und man ist auch zu kurzen belanglosen Gesprächen bereit, intensivere Kommunikation und vor allem die sehr engen Kontaktformen, wie die Hinterlegung des Wohnungsschlüssels oder gegenseitige Besuche, finden zwischen In- und AusländerInnen deutlich seltener statt. Zum Unterschied vom nachbarschaftlichen Umgang zwischen ÖsterreicherInnen sind Kontakte mit MigrantInnen nicht nur seltener, sondern bleiben im Durchschnitt auch distanzierter.
Für die Untersuchung des Einflusses der WohnnachbarInnenschaft auf fremdenfeindliche Einstellungen ist die aus der Sozialpsychologie stammende Kontakthypothese (»Kontakt schafft Sympathie«) von besonderer Bedeutung. Die drei grundlegenden Annahmen sind dabei: Die räumliche Nähe von Wohnstandorten führt 1. zu Kontakten zwischen den NachbarInnen, 2. zu mehr Toleranz zwischen ihnen und 3. zur gegenseitigen Akzeptanz von Verhaltensmustern. Die Kontakthypothese ist nicht unumstritten, sie wurde bereits seit den 50er-Jahren zwar vielfach bestätigt, doch konnte auch der gegenteilige Effekt, d.h. ein Anstieg von Konflikten infolge des engen Zusammenlebens von Gruppen, nachgewiesen werden.
Wir gelangten in unserer Studie - zumindest für Wien - zu einem eindeutigen Resultat: Bei jenem Personenkreis (rund ein Drittel aller Befragten), der angab, mit ausländischen NachbarInnen im Haus zusammenzuwohnen, zeigte sich, dass mit steigender Häufigkeit interethnischer Alltagskontakte im Haus auch eine Verminderung von Vorurteilen einhergeht. Zur Messung von Fremdenfeindlichkeit bedienten wir uns vier im deutschen ALLBUS (Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften) bereits ausreichend erprobter Aussagen. Während 55 % der Wiener und Wienerinnen ohne »gemischte« NachbarInnenschaftskontakte der Forderung nach einer Anpassung des Lebensstils der AusländerInnen an österreichischen Normen völlig zustimmen, sind es bei den Befragten mit sehr häufigen Nachbarschaftskontakten nur runde 28 %. Unter letzteren ist der Anteil völliger Ablehnung dieser Forderung rund viermal so hoch wie bei den Befragten ohne jegliche Kontakterfahrungen. Ganz ähnlich gelagert war das Antwortverhalten hinsichtlich der Forderung nach der Ausweisung auf dem Arbeitsmarkt »überflüssig« gewordener MigrantInnen, der Untersagung politischer Betätigung für AusländerInnen sowie des Postulats, ZuwanderInnen sollten nur untereinander heiraten: Hohe Zustimmung bei Personen, welche über keine nachbarschaftlichen Kontakte verfügen, starke Ablehnung bei jenen, die häufige Kontakte pflegen.
Es ist aber nicht die Kontakthäufigkeit allein, die in einem Zusammenhang mit Einstellungen gegenüber MigrantInnen allgemein steht. Auch die Qualität und die Intensität der Kontakte im Wohnbereich spielen eine Rolle. Harmonische Beziehungen gehen mit deutlich geringeren Vorurteilen einher. Das Ausmaß an Zustimmung zur Forderung nach Lebensstilanpassung beispielsweise beträgt bei den Befragten mit einem schlechten NachbarInnenschaftsverhältnis fast zwei Drittel, bei jenen mit guten Kontakten aber nur 42 %. Beschränkt sich der Umgang mit ausländischen NachbarInnen nur auf lose Grußkontakte, der distanziertesten Kontaktform, so ist das Ausmaß an Fremdenfeindlichkeit im Durchschnitt höher als bei Personen, die auch intensive Gesprächs- und Besuchskontakte mit ihren NachbarInnen aufrechterhalten.
Doch so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint, ist es nun auch wieder nicht: Ursache und Wirkung sind in der Kontakthypothese zwar klar definiert, d.h. Kontakte beeinflussen Einstellungen, sie können in der Realität aber nicht immer ebenso eindeutig unterschieden werden. Es ist nämlich durchaus denkbar, dass häufigere und/oder engere NachbarInnenschaftskontakte zu ZuwanderInnen durch eine bereits »mitgebrachte« größere Vorurteilsfreiheit bedingt werden. Die Ursachen dafür können in Persönlichkeitsmerkmalen oder in irgendwann einmal gemachten Lebenserfahrungen liegen. Anhand der Ergebnisse unserer Studie können wir daher von Wechselwirkungen, aber von keinen strikten Ursache-Wirkungs-Beziehungen ausgehen. Das heißt, häufige und harmonische Kontakte zu ausländischen NachbarInnen gehen in der Regel mit geringerer Fremdenfeindlichkeit einher, umgekehrt steigt die Ablehnung mit der Seltenheit und Distanziertheit nachbarschaftlichen Umgangs an.
Wir haben in der Folge auch das weitere Wohnumfeld unter die Lupe genommen und die Frage gestellt: »Besteht ein Zusammenhang zwischen dem AusländerInnenanteil in einem Baublock und fremdenfeindlichen Einstellungen seiner inländischen BewohnerInnen?« Die statistischen Kontaktchancen nehmen ja mit der Zahl der MigrantInnen im Wohnumfeld zu. Daher müssten mehr ausländische BewohnerInnen im Baublock auch mit geringerer Fremdenfeindlichkeit bei den österreichischen NachbarInnen einhergehen. Dieser Zusammenhang lässt sich auch tatsächlich nachweisen. Die geringste Zustimmung zu den bereits erwähnten diskriminierenden Forderungen tritt in den Baublöcken mit hohen ZuwanderInnenanteilen auf. Niedrige AusländerInnenanteile bedingen ein etwas höheres Ausmaß an Xenophobie, wobei aber auch in diesem Zusammenhang auf die Wichtigkeit des Faktors Schulbildung hinzuweisen ist. Denn am höchsten ist die Diskriminierungsbereitschaft in Baublöcken, in denen ein allgemein niedriger Bildungsstand vorherrscht. Bereits Maturaniveau vermindert die Neigung zur Ablehnung von Fremden erheblich.
Was ist aus diesen Ergebnissen abzuleiten? Hohe AusländerInnenanteile im Wohnbereich müssen nicht, wie vielfach unkritisch behauptet wird, automatisch ein Problem darstellen. Im Gegenteil, sie können vermehrte Kontaktchancen bieten und auch tatsächlich zu einer Steigerung von Alltagskontakten führen. Gleichzeitig geht damit, wie oben beschrieben, ein geringeres Ausmaß an Fremdenfeindlichkeit einher. Eine entscheidende Rolle spielt das sozialräumliche Milieu. Dabei handelt es sich um die Gesamtheit der sozialen und demographischen Charakteristika der BewohnerInnen eines bestimmten Raumes. Ein hoher AusländerInnenanteil kann in einem Haus, das vorwiegend von Menschen mit hohem Bildungsniveau bewohnt wird, toleranzsteigernd wirken. Ein gleich hoher AusländerInnenanteil vermag in Kombination mit einem niedrigen Bildungsgrad der inländischen Bewohner die Vorurteile aber auch zu verstärken.
Dies kann also zur Grundlage eines Plädoyers für Maßnahmen der Desegregation im Wohnbereich gemacht werden. Die Konzentration der ausländischen Wohnbevölkerung verhindert interethnische Kontakte, fördert Fremdenfeindlichkeit und behindert dadurch die erfolgreiche Integration in der NachbarInnenschaft. Das »gemischte«« Wohnen stellt wichtige Gelegenheiten, um einander kennenzulernen, zur Verfügung. Gemäß unserer Studie stellt der Wohnbereich - nach dem Arbeitsplatz - das zweitwichtigste Kontaktterrain für interethnische Beziehungen dar. Zum Unterschied von der Berufswelt eröffnet die NachbarInnenschaft aber ein freiwilliges Kontaktreservoir. Es hängt primär von persönlichen Entscheidungen ab, ob und in welchem Ausmaß der oder die Einzelne dieses nutzen möchte oder nicht. In der Freiwilligkeit des sozialen Umgangs liegt aber auch der wesentliche Vorteil nachbarschaftlicher Interaktionen. Aufgezwungene Kontakte werden oft als unangenehm empfunden und können das Gegenteil dessen bewirken, was die Kontakthypothese eigentlich beinhaltet, d.h. nicht Toleranzsteigerung, sondern Vorurteilsverstärkung. Die gleichmäßigere Verteilung von ImmigrantInnen im Stadtraum stellt aber ein langfristiges Ziel dar. Kurz- und mittelfristig muss sowohl von der Kommunalpolitik als auch der Stadtplanung und last but not least auch von der inländischen Bevölkerung Akzeptanz gegenüber bereits bestehenden Konzentrationen ausländischer Wohnbevölkerung gefordert werden.

Das aus Josef Kohlbacher und Ursula Reeger bestehende Forschteam am Institut für Stadt- und Regionalforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist bereits seit Jahren im Bereich der Migrationsforschung tätig.


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