Eine ganze Architektengeneration träumte vom factory-made house[1], vom Haus aus der Fabrik. Im Serienbau sollte sich schnelle und preisgünstige Fertigung mit hohen gestalterischen Standards verbinden, damit qualitätvoller Wohnraum im Eigentum jedermann zugänglich, also normal werde. Doch stattdessen wurde das Fertighaus[2] in mehrfacher Hinsicht ex-zentrisch. Zunächst steht es, in unmittelbar räumlichem Sinne, in der Regel außerhalb der Zentren unserer Städte und trägt – als Produkt und Motor der Suburbanisierung – dazu bei, dass Baugebiete in immer größerer Entfernung zu Stadt- oder Subzentren ausgewiesen werden. Zum anderen spiegelt sich im Begriffspaar der ex-zentrischen Normalität die Dialektik von Individualisierung und Standard, in der sich der kommerzielle Eigenheimbau in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hat. Die Gestaltungsspielräume, die sich dem Kunden heute durch die Potenziale der Mass Customization eröffnen, ermöglichen und erfordern eine jeweils individuelle, jedoch meist auf repräsentative Standards bezogene (Fassaden-)Gestaltung der Gebäude. Auf diese Weise oft exzentrisch anmutend, hat das Fertighaus heute keinen Platz mehr im Zentrum des Architektur- und Kulturdiskurses, dafür in Publikumszeitschriften, Traumhauskatalogen und Einrichtungsmagazinen.
Vgl. Herbert 1984: The dream of the factory-made house. Walter Gropius and Konrad Wachsmann. ↩︎
Die Begriffe Fertighaus, industriell gefertigtes Haus, Markenhaus etc. werden unter diesem Begriff zusammengefasst und in der Folge unabhängig von Leicht- oder Massivbauweise synonym verwendet für Ein- und Zweifamilienhäuser, die über einen hohen Vorfertigungsgrad verfügen und über ein Hausbauunternehmen vertrieben werden. ↩ ↩︎
In den vergangenen Monaten fanden mehrfach Diskussionen rund um das Modell des Wiener Wohnbaus statt. Dabei kam ein Thema– teils zentral, teils peripherer – immer wieder zur Sprache: die Möglichkeiten und Aufgaben gemeinschaftlichen und partizipativen Wohnens und Wohnbaus in Wien. In der dérive Nr. 46 findet sich dazu eine »Kritik an Baugruppen« in Andreas Rumpfhubers Beitrag »Superblock turned Überstadt«. Zu dieser möchte ich auch als Vorstandsmitglied der darin mehrfach erwähnten Initiative für gemeinschaftliches Bauen und Wohnen gerne einige Ergänzungen festhalten.
Das Leben in dispersen Strukturen peripherer Zwischenräume ist für viele Menschen Normalität und in sich ein vielschichtiges Phänomen. Im wissenschaftlichen Diskurs über die Stadt sind solche randständigen Gebiete und Lebenswelten gerade in baulich-räumlicher Hinsicht noch wenig erforscht. Als Architektinnen sehen wir Handlungsbedarf, diese realen, ideellen und individuell wie kollektiv gelebten Konstruktionen (nicht-)städtischer Lebenswelten differenziert zu analysieren.
Entgegen dem Klischee der zeitgenössischen Metropole, keinen leistbaren Wohnraum zur Verfügung stellen zu können, ist Wien, seinem Motto gemäß, tatsächlich anders. In dem es in den 1990er Jahren den sozialen Wohnungsbau liberalisiert hat, ohne gleichzeitig die Kontrolle über die Qualität und die Art und Weise der Wohnungsproduktion aus der Hand zu geben, hat sich Wien zur Überstadt entwickelt, aber auch gleichzeitig eine eigenartig fragile Situation geschaffen, die für die AkteurInnen der Wohnbauproduktion in den kommenden Jahren zu Herausforderung werden wird. Einerseits inkludiert dies die blinden sozialen Flecken, die eine einkommensschwache Schicht der Bevölkerung ignoriert. Andererseits ist es die sozialdemokratische Politik selbst, die konstant bemüht ist, sich der liberalen Hypothese anzunähern, und dabei, wie ich meine, in eine Position gerät, in der sie nur mehr reagieren und aus der heraus sie nicht mehr autonom handeln kann.
Zur gleichen Zeit wird der öffentliche wie der soziale Wohnungsbau auch über den Imperativ des Schuldenabbaus und der Konsolidierung öffentlicher Haushalte in Verbindung mit der internationalen Finanzkrise in Frage gestellt. Privatisieren scheint hier das aus den 1980er Jahren Englands wohlbekannte Zauberwort zu sein. Immer öfter auch für WienerInnen. Dies, obwohl gerade in Wien die Auswirkungen der Krise teils auch durch die große träge Masse des öffentlichen wie des sozialen Wohnbaus abgefedert wurden und werden. Als Strategie gegen diese Krise wurde erst kürzlich die so genannte Wohnbauinitiative gestartet, die nur eine neue Form der Private-P ublic-P artnership außerhalb des existierenden Modells der Bauträgerwettbewerbe ist. Jedoch ohne ArchitektInnen und ohne Qualitätssicherung, dafür mit einer auf zehn Jahre limitierten Mietobergrenze. Zeitgleich machen sich Baugruppeninitiativen im Diskurs der Stadt bemerkbar und proklamieren eine Reform der Wohnbaupraxis von unten.
Der Text versucht, skizzenhaft eine Dynamik von Wunschproduktionen zum Thema Wohnen nachzuzeichnen und diese mit dem Wiener Wohnungsmarkt in Beziehung zu setzen. Im zweiten Abschnitt des Textes wird der derzeitige Wohnungsbauapparat als Überstadt vorgestellt. Im dritten Teil versuche ich, Baugruppen kritisch in Wien zu kontextualisieren, um anschließend ein Plädoyer für Wohngruppen zu halten, die sich von Baugruppen im Wesentlichen darin unterscheiden, 1. kein Klein-Eigentum zu bilden und 2. das Wohnen und nicht das Bauen als einen konstanten, konflikthaften, sich permanent verändernden Prozess zu verstehen.
Allen entgegen dringt der Lärm des Wurstelpraters; und über dem Gewühl der Menge schlagen seine Wellen zusammen. Das Schreien der Ausrufer, gellendes Glockenklingeln, das Heulen der Werkel, schmetternde Fanfaren, dröhnende Paukenschläge. Und ein sonniger Himmel wölbt sich licht und klar über dem Brausen und Toben und senkt sich weit hinter den grünen Bäumen in verschwimmendem Blau hernieder, als sei hier das Land aller Freude und Seligkeit, und als sei jede Sorge und jedes Unglück zurückgeblieben dort, wo über dem grauen Häusermeer Dunst und Nebel in schweren Wolken lagert. (Mattl et.al., 2004)
Mit diesem Stimmungsbild beginnt Felix Salten in einer Ausgabe von 1911 eine Beschreibung der Attraktionen und Tätigkeiten im Wurstelprater Wien. Als Nachdruck ist dieser Text 2004 erschienen und im Vorwort wird er als »Knoten in einem kulturellen Bedeutungsgewebe« bezeichnet.
Coney Island – das berühmteste Vergnügungsareal der Welt scheint heute zwischen zunehmender Verwahrlosung und gleichzeitigen Restaurations- und Wiederbelebensversuchen gefangen. Die andauernde und wechselhafte Beziehung zu seiner großen Schwester Manhattan hat sich auch in seine Gegenwart eingeschrieben. Wieder einmal scheint die Halbinsel auf Grund konkurrierender Begehrlichkeiten diverser AkteurInnen in einen Zustand der Lähmung gefallen zu sein. Die Geschichte Coney Islands ist auch die emblematische Geschichte einer nicht immer friktionsfreien, aber immer aufgeladenen Beziehung zwischen Orten des Vergnügens und ihrem städtischen Umfeld. Rem Koolhaas hat 1978 in seinem Theorieklassiker Delirious New York das Beziehungsgeflecht zwischen Reservoir (Manhattan) und Resort (Coney Island) beschrieben. Die ersten Vergnügungsparks auf der Halbinsel, die an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstanden, werden von ihm in ihrer Funktion als Laboratorien beschrieben, in denen spielerisch getestet wurde, was später jenseits des Hudson zum Ernstfall wurde. Heute entstehen weltweit beinahe ununterbrochen neue Themenparks. Hedonistische Orte urbaner Wunschproduktion sind längst Bestandteil einer globalen Konsumkultur.
Besprechung von:
Festival Ars Electronica
31. August bis 6. September in Linz
Besprechung von:
Belina, Bernd; Gestring, Norbert; Müller, Wolfgang; Sträter, Detlev (Hg.):
„Urbane Differenzen. Disparitäten innerhalb und zwischen Städten“
Nachtleben und Urbanisierung sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Das Entstehen der modernen Großstädte in der Mitte des 19. Jahrhunderts und die Ausweitung des Lebens immer breiterer Bevölkerungsschichten in die Nacht fielen nicht zufällig in denselben Zeitabschnitt, sondern waren aufs Engste miteinander verknüpft. Es scheint daher nur logisch, dass KritikerInnen des Nachtlebens meist auch KritikerInnen der (Groß-)Städte waren. Heute boomt das Leben in vielen Städten rund um die Uhr, die 24-Stunden-Stadt ist oftmals Realität, und wo sie es noch nicht ist, schreitet die Entwicklung eilig voran. Damit einher geht allerdings auch eine immer stärkere Kommerzialisierung und Regulierung. Wie ein fremdes Territorium wird die Nacht Stück für Stück erobert: Internationale Konzerne wollen am urban nightlife verdienen und überziehen die global cities mit uniformen Unterhaltungsangeboten. Nichtkommerzielle Veranstalter werden zusehends aus dem Markt gedrängt. Unerwünschte Personen werden ausgesperrt, zahlungskräftige TouristInnen umworben, die Überwachung der nächtlichen Stadt wird immer dichter. Konflikte zwischen um Nachtruhe kämpfenden AnrainerInnen und vergnügten NachtschwärmerInnen sind ebenso ein Aspekt wie Viertel und Quartiere, die neue Arbeitsplätze und Einnahmemöglichkeiten durch die Ausdehnung des Nachtlebens erhoffen.
Besprechung von:
Venedig-Biennale 2011
Die Krise des fordistischen Akkumulationsregimes in den 1970er Jahren, von der alle westlichen Industrienationen mehr oder minder stark erfasst wurden, traf die Wissenschaft und Öffentlichkeit weitgehend unvorbereitet. Dass die Geschichte des Kapitalismus auch eine der ökonomischen Depressionen und Katastrophen ist, war angesichts der lang anhaltenden Nachkriegs-Prosperität weitgehend in Vergessenheit geraten. Entsprechend herrschte in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften eine Modernisierungsideologie vor, der die Vorstellung einer kontinuierlichen und gleichförmigen Entwicklung zugrunde lag. Räume galten dabei als bloße »Behälter«, in denen sich der technisch-ökonomische Fortschritt synchron und bruchlos entfaltete.
Konfrontiert mit einer zunehmenden Polarität zwischen wachstumsstarken Regionen und erodierenden Industrierevieren, setzte in Wissenschaft und Politik eine Umorientierung ein. Das Kontinuitätsparadigma verschwand von der Agenda, die neue Formel lautete Revitalisierung der städtischen Ökonomie durch Förderung der High-Tech-Industrie. Nachdem sich viele Annahmen über das Zustandekommen von technologischen Innovationsprozessen als fragwürdig erwiesen haben, richten sich seit den 1990er Jahren die Projektionen der Standortstrategien auf eine wissensbasierte Ökonomie. In diesem neuen »master economic narrative« (Jessob 2004a, S. 154) spielt die Stadt eine wichtige Rolle: Von der Mobilisierung kultureller Ressourcen erhofft man sich nicht nur eine städtische Regeneration, die urbane Kultur wird vielmehr als dynamische Kraft eines neuen, kreativen Kapitalismus angesehen.
Über die Ausstellung: Fliegende Klassenzimmer. Wir machen Schule vom 3. 3.-30. 5. 2011, im Az W, Museumsquartier, Wien und das Buch: Antje Lehn, Renate Stuefer (Hgg.)(2011):räume bilden. Wie Schule und Architektur kommunizieren Wien: Löcker, Reihe Arts & Culture & Education.
Elke Krasny über die Ausstellungen Grenzpegel — Kreativität und Kontroverse: Migrantische Musikszenen und Living Across — Spaces of Migration sowie über das Buch Viel Glück! Migration Heute - Wien, Belgrad, Zagreb, Istanbul herausgegeben von der Initiative Minderheiten.